Recently the Nutshell Studies of Unexplained Death were featured in an online German magazine. We are thrilled! Thank you, Danny Kringeil for spreading the good word about Frances Glessner Lee in Deutschland!
http://einestages.spiegel.de/external/ShowTopicAlbumBackground/a29926/l0/l0/F.html
Morbide Modellhäuser Blutbad in der Puppenstube
Auf den ersten Blick ist das
Grauen leicht zu übersehen. Zu leicht bleiben die Augen des ungeschulten
Betrachters an all den liebevollen Details der winzigen Puppenhäuschen
hängen: den handgemalten Blumen im Muster der Tapeten. Den
selbstgenähten Rüschengardinen, den gestrickten Socken, mit wenige
Millimeter langen Wäscheklammern zum Trocknen aufgehängt. Man staunt
über die nicht mal zentimetergroßen Bierflaschen mit mikroskopisch
kleinen Etiketten und über den handgemalten Wandkalender des Jahres
1944, dessen Tage sich nur mit der Lupe erkennen lassen.
Dann erst fällt einem das Blut auf.
Die Spritzer an der Tapete des Schlafzimmers. Die besudelte Matratze, auf der reglos eine Frau im Nachthemd liegt. Der blutgetränkte Pyjama ihres Gatten neben ihr. Und die kleinen Flecken, wie von winzigen Füßen hinterlassen, die sich von seiner Leiche aus quer durch die Wohnung ziehen - durch das Schlafzimmer, das Wohnzimmer, an umgestürzten Möbeln vorbei über Teppich und Fliesen bis hin zum Kinderzimmer. Hier enden sie in einer Lache am Fuß der Wiege, in der neben einem rotverschmierten Kuscheltier eine kleine Babypuppe liegt.
Die 19 alten Puppenstuben, die im Gerichtsmedizinischen Institut von Baltimore in schützenden Glaskästen ausgestellt sind, wirken zutiefst verstörend. Doch hinter ihnen steckt lediglich eine freundliche alte Dame, die die Welt ein kleines bisschen sicherer machen wollte - Frances Glessner Lee. Mit Hilfe ihrer Puppenstuben revolutionierte sie in den dreißiger und vierziger Jahren die Gerichtsmedizin.
Mutter der Rechtsmedizin
Die steckte damals noch in den Kinderschuhen. Eine formalisierte Ausbildung gab es noch nicht. Doch Glessner Lee, reiche Erbin einer Chicagoer Industriellenfamilie, hatte sich in den Kopf gesetzt, Rechtsmedizinerin zu werden. Und so las sie einfach, was immer sie zur Auswertung von Blutspuren, zum Nachweis von Giften, zur Untersuchung von Schussverletzungen und Ähnlichem in die Finger bekam. Bald hortete sie eine Hunderte Bände starke Fachbibliothek.
Glessner Lee, damals bereits eine Frau in den Fünfzigern, hatte nach ihrer Scheidung beschlossen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, und gab alles, um ihr Ziel zu erreichen: So bemühte sie sich neben ihren autodidaktischen Studien, als freiwillige Polizeihelferin praktische Ermittlungserfahrungen zu sammeln. Offenbar mit Erfolg, wurde sie doch laut "New York Times" vom 7. Oktober 2004 zum ersten weiblichen Mitglied der International Association of Chiefs of Police gewählt, einer weltweiten Organisation zur Optimierung von Polizeiarbeit. Während ihrer freiwilligen Tätigkeit konnte Glessner Lee allerdings nicht nur fachmännische Ermittlungen beobachten - sondern auch, wie oft Verbrechen ungeklärt blieben, weil Polizisten Beweisstücke falsch untersuchten oder Morde für Unfälle hielten.
Dann erst fällt einem das Blut auf.
Die Spritzer an der Tapete des Schlafzimmers. Die besudelte Matratze, auf der reglos eine Frau im Nachthemd liegt. Der blutgetränkte Pyjama ihres Gatten neben ihr. Und die kleinen Flecken, wie von winzigen Füßen hinterlassen, die sich von seiner Leiche aus quer durch die Wohnung ziehen - durch das Schlafzimmer, das Wohnzimmer, an umgestürzten Möbeln vorbei über Teppich und Fliesen bis hin zum Kinderzimmer. Hier enden sie in einer Lache am Fuß der Wiege, in der neben einem rotverschmierten Kuscheltier eine kleine Babypuppe liegt.
Die 19 alten Puppenstuben, die im Gerichtsmedizinischen Institut von Baltimore in schützenden Glaskästen ausgestellt sind, wirken zutiefst verstörend. Doch hinter ihnen steckt lediglich eine freundliche alte Dame, die die Welt ein kleines bisschen sicherer machen wollte - Frances Glessner Lee. Mit Hilfe ihrer Puppenstuben revolutionierte sie in den dreißiger und vierziger Jahren die Gerichtsmedizin.
Mutter der Rechtsmedizin
Die steckte damals noch in den Kinderschuhen. Eine formalisierte Ausbildung gab es noch nicht. Doch Glessner Lee, reiche Erbin einer Chicagoer Industriellenfamilie, hatte sich in den Kopf gesetzt, Rechtsmedizinerin zu werden. Und so las sie einfach, was immer sie zur Auswertung von Blutspuren, zum Nachweis von Giften, zur Untersuchung von Schussverletzungen und Ähnlichem in die Finger bekam. Bald hortete sie eine Hunderte Bände starke Fachbibliothek.
Glessner Lee, damals bereits eine Frau in den Fünfzigern, hatte nach ihrer Scheidung beschlossen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, und gab alles, um ihr Ziel zu erreichen: So bemühte sie sich neben ihren autodidaktischen Studien, als freiwillige Polizeihelferin praktische Ermittlungserfahrungen zu sammeln. Offenbar mit Erfolg, wurde sie doch laut "New York Times" vom 7. Oktober 2004 zum ersten weiblichen Mitglied der International Association of Chiefs of Police gewählt, einer weltweiten Organisation zur Optimierung von Polizeiarbeit. Während ihrer freiwilligen Tätigkeit konnte Glessner Lee allerdings nicht nur fachmännische Ermittlungen beobachten - sondern auch, wie oft Verbrechen ungeklärt blieben, weil Polizisten Beweisstücke falsch untersuchten oder Morde für Unfälle hielten.
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Glessner Lee erkannte, dass die Polizei unbedingt verlässlichere Forensiker brauchte, die eine wissenschaftlichen Standards genügende Ausbildung durchlaufen hatten. Und so nutzte sie ihr erhebliches Vermögen, um diesen Missstand zu beseitigen: 1931 stiftete sie der Harvard Medical School 250.000 Dollar, um die erste rechtsmedizinische Fakultät der USA zu gründen. Zudem spendete sie der Hochschule Tausende Bücher zur Einrichtung einer Fachbereichsbibliothek und unterstützte die neu eingerichteten Seminare über Mordermittlungen, indem sie üppige Festbankette für die Teilnehmer ausrichtete.
Schon als Kind hatte Glessner Lee davon geträumt, Ärztin zu werden, doch ihre Eltern hatten befunden, für ein Mädchen aus gutem Hause schicke es sich nicht, zu studieren. Nun aber, Jahrzehnte später, hatte sie endlich eine Beschäftigung an der Universität gefunden - als Beraterin des rechtsmedizinischen Fachbereichs.
Stricken für Leichen
Auch für ihren unbändigen kreativen Drang, mit dem sie früher nur auf das Unverständnis ihres Ex-Mannes gestoßen war und sich so von ihm entfremdet hatte, fand sie nun ein Ventil. Sie war überzeugt: Könnte man jungen Rechtsmedizinern und Polizisten beibringen, jedes noch so winzige Detail eines Tatorts genau zu erfassen und präzise wissenschaftlich zu analysieren, würde die Wahrheit wie in einer verdichteten Miniatur des Geschehens - nach englischer Redensart "in a nutshell" ("in einer Nussschale") - sichtbar werden. So machte die handwerklich begabte Millionenerbin sich daran, in unermüdlicher Kleinarbeit 19 Schaukästen zu bauen, die exakt die Tatorte realer Todesfälle widergaben. Mit ihrer Hilfe sollten junge Ermittler ihren analytischen Blick schulen.
Glessner Lee nahm es mit der detailgetreuen Darstellung in ihren "Nutshell Studies of Unexplained Death", wie sie die morbiden Puppenhäuser taufte, überaus ernst. Im Maßstab von 1 Zoll : 1 Fuß baute sie mit Hilfe von Zahnarztinstrumenten jedes Detail realer Tatorte als Miniatur nach: abblätternde Tapeten, Kratzer auf dem Fußboden, die genaue Form von Blutspritzern, winzige Patronenhülsen. Lampen versah sie mit funktionierenden Glühbirnen, auf Miniaturausgaben von "Newsweek" und "Boston Herald" trug sie von Hand millimetergroße Schlagzeilen ein. Wollpullover der Toten strickte sie mit umfunktionierten Stecknadeln selbst und trug altmodische Kleidungsstücke, extra um realistisch abgenutzten Stoff für die Leichen in ihren Dioramen zu bekommen.
Sie ahnte wohl selbst, dass ihre Detailversessenheit fast neurotische Züge trug: "Ich bin ununterbrochen versucht, noch mehr Indizien hinzuzufügen", schrieb sie einmal einem Mitarbeiter der Harvard Medical School, "Halten sie mich auf, wenn ich zu weit gehe". Doch niemand bremste die eifrige Bastlerin - zum Glück.
Kriminalistische Kleinode
1945 stiftete die bereits 67-jährige Dame ihre Schaukästen des Grauens der Universität Harvard, wo sie in Seminaren eingesetzt wurden - nach strengen Vorgaben. 90 Minuten hatte jeder Teilnehmer pro Modell Zeit, den Miniaturtatort auszuwerten. Erlaubt waren dabei nur einfache Hilfsmittel wie Lupen oder Taschenlampen. Der Betrachter, hielt Glessner Lee in ihren Notizen fest, solle die Miniaturen "am besten untersuchen, indem er sich vorstellt, er wäre nur 15 Zentimeter groß". Selbst eine Blickrichtung empfahl sie: spiralförmig im Uhrzeigersinn von außen nach innen.
Jahrzehntelang ließen Harvard-Studenten ihre Blicke über blutverschmierte Miniatur-Wäschekörbe wandern, analysierten die Todesursache im Dachgebälk erhängter Plastikfiguren oder betrachteten die Schnittwunde an der Kehle einer Prostituierten-Puppe - mit großem Erfolg. Von "unschätzbarem Wert" seien die Dioramen für den Unterricht gewesen, lobte Marylands Oberster Gerichtsmediziner John Smialek 1992 in der "American Medical News": "Heute können wir Videos aufnehmen. Damals gab es keine andere Weise, einen Tatort so nachzubilden, dass er auf standardisierte Weise ausgewertet werden kann."
Posthum zum Fernsehstar
Doch die Zeiten änderten sich. 1962 starb Frances Glessner Lee im Alter von 83 Jahren, und der Forensik-Studiengang, den sie bis zuletzt finanziert hatte, musste eingestampft werden. Ihre Familie übergab die einzigartigen Dioramen dem Gerichtsmedizinischen Institut von Baltimore, wo sie noch heute ausgestellt sind.
Mit dem Aufkommen neuer Technologien wandelte sich auch die Arbeit in der Forensik. Statt der genauen Beobachtung mit bloßem Auge gewannen Videos, Computermodelle und Genanalysen immer größere Bedeutung - auch abseits der Tatorte: Fernsehserien wie "CSI: Den Tätern auf der Spur" feierten Forensiker als hochtechnisierte Superermittler. Mit ihren modernen Hilfsmitteln rekonstruierten sie aus jedem Stofffetzen den kompletten Tathergang. Egal, wie absonderlich der Fall sein mochte.
Auch dann noch, wenn die TV-Ermittler es, wie in "CSI"-Staffel sieben, mit einer Frau zu tun bekamen, die jede noch so winzige Einzelheit ihrer Taten im Voraus mit neurotischer Detailversessenheit plante - in selbstgebauten Puppenhäusern.
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